Geschichte der Juden in Wangen

1665
übersiedelte der Wangener Pferdehändler Mosis Baruch Ainstein, nach Buchau am Federsee, nachdem ihm dort die Aufnahme in das Bürgerrecht gewährt wurde. Er war der Ahnvater der Einstein-Familie, aus der der berühmte Physiker Albert Einstein stammte.

1666
lebten drei jüdische Familien in Wangen; ein Jahr später waren es vier.

ab 1740
siedelten sich verstärkt jüdische Familien aus Sulz und Hohenems in Vorderösterreich, aus Schwaben und dem Elsass an.

1743
lebten sieben jüdische Familien in Wangen.

1775
erfolgte die erste Eintragung im Buch des Mohel (Beschneider): Brit Mila (Beschneidung) von Meir Sohn des Josef. Hierbei handelte es sich um Meir Manes Löb Wolf, einziger Sohn des aus Hohenems gebürtigen Joseph Manus Wolf und dessen erster Frau Esther Moos.

1779
nahm die Zahl der jüdischen Familien auf 14 zu.

1783
baute der bereits genannte Joseph Manus Wolf das erste urkundlich belegte Haus in jüdischem Besitz in Wangen (heute Seeweg 27). Über der Eingangstür finden wir folgende Inschrift: „Dieses Haus gehört dem angesehenen, gelehrten Herrn Joseph, Sohn des Vorstehers der Gemeinde Menachem Manes (Sein Andenken sei zum Segen!) und seiner Ehefrau Ella, Tochter des R. Joschua aus Kippenheim. Gebaut wurde das Haus im Jahre 5543. Gesegnet sei dein Eingang! Gesegnet sei Dein Ausgang!“

In der Folge wurden durch die jüdische Bevölkerung auf Grundstücken direkt am Seeufer weitere Häuser gebaut. Der heutige Seewegs wurde später „Zizenhuuser Gass“ genannt, weil die Juden in ihrem Habitus den Terrakottafiguren des Zizenhauser Malers Anton Sohn (1769–1841) ähnelten.

1792–1815
kam es in der Zeit der napoleonischen Kriege auch zu Unruhen innerhalb der jüdischen Gemeinde, einem „Kleinkrieg zwischen Gemeindemitgliedern und dem Vorsteher“, bei dem es keinen Gehorsam mehr gegenüber den Rabbinern gab.

1795
Gründung der Heiligen Bruderschaft Chewra Kadischa. Anfang d. 19. Jh.  gab es in Wangen ein reges jüdisches Gemeindeleben; lange Zeit bestanden zwei jüdische Wirtschaften im Dorf, das „Gasthaus zum Löwen“ des Isaac Ortlieb und den „Adler“, der von Joseph Daniel Wolf und seiner Frau Esther, geb. Anspacher geführt wurde.

1806
wurde Wangen dem durch den maßgeblichen Einfluss von Napoleon neu geschaffenen Großherzogtum Baden zugeordnet.

1809
wurde das Badische Judenedikt erlassen, das die bürger- und kirchenrechtlichen Verhältnisse der badischen Juden neu ordnete.

1815
folgte die Aufhebung der Schutzgelder, doch hielt sich nicht jede Gemeinde daran.

1817
wurde die Ahavat Schalom, die Friedensstiftung, gegründet, um den, „den Unfrieden (innerhalb der Gemeinde)zu bannen“.

1820
ist der Dorfbach umgebettet worden, wodurch die Benutzung der Mikwe (Ritualbad) unmöglich wurde. Der langjährige Rechtsstreit darüber dauerte bis es 1834 zur amtlichen Erlaubnis für die Benutzung eines neuen Frauenbades kam.

1825
hatte Wangen 224 jüdische Bewohner, was 39,3% der Gesamtbevölkerung ausmachte.

Mai 1825
erfolgte die Grundsteinlegung für die Synagoge am Seeufer. Sie wurde …

1826
eingeweiht.

1827
wurde der jüdische Friedhof oberhalb des Dorfes angelegt. Bis dahin wurden die Wangener Juden in Gailingen beigesetzt, was teuer bezahlt werden musste. Für die auf dem Rhein transportierte Leiche eines Erwachsenen musste 1 Gulden und für die eines Kindes 30 Kreuzer bei der Anlandung an die Stadt Diessenhofen entrichten werden. Zudem mussten die Leichen durch Obergailingen, das damals zum Stadtgebiet von Diessenhofen gehörte, transportiert werden, wofür ein zusätzlicher Wegzoll erhoben wurde.

1852
erfolgte der Bau des jüdischen Schulhauses an der heutigen Hauptstrasse 39. 1839 gab es 27 jüdische Kinder. Im Jahr der Gründung der israelitischen Volksschule waren es 29, 1870: 47, 1902: 4. Ab 1914 ging kein jüdisches Kind mehr in die Wangener Schule.

1857
konnte nach über 10 Jahre andauernden Diskussionen die Synagoge renoviert werden.

Ende d. 19. Jh.
gab es in Wangen diverse jüdische religiöse Vereine; Juden waren Mitglied im Gemeinderat und wurden als „belebendes Element“ der Gemeinde am Untersee angesehen.

seit ca. 1880
schrumpfte die jüdische Gemeinde in Wangen stetig. Viele Familien zogen nach Konstanz oder Zürich, um ihren Kindern dort eine höhere Bildung zu vermitteln.

1900
lebten noch über 105 jüdische Bürger in Wangen
(15,1% der Gesamtbevölkerung).

1914–1918
im Ersten Weltkrieg fielen für Deutschland Wilhelm Bernheim, Siegfried Gump, Edwin Gut, Heinrich Picard sowie die Brüder von Jacob Picard Erwin und Wilhelm alle gebürtig aus Wangen.

1933
lebten noch 20 Juden in Wangen (3,5% der Einwohner).

bis 1938
fanden regelmäßig Gottesdienste in der Synagoge statt; wobei viele der Weggezogenen sich weiterhin der Gemeinde Wangen zugehörig fühlten.

9. Nov. 1938
SS Truppen aus Radolfzell zerstörten die Synagoge und schändeten den Judenfriedhof. Die Kaufleute Alfred und Emil Wolf, der Arzt Dr. Nathan Wolf,
Dr. Otto Blumenthal aus Schienen und ein zufällig anwesender jüdischer Mann wurden von der SS schwer misshandelt und in das KZ Dachau deportiert.

Anfang 1939
starb Emil Wolf an den Folgen der Misshandlungen im Krankenhaus von Singen

22.10.1940
die letzten sieben jüdischen Bürger aus Wangen wurden in das Camp de Gurs in Südfrankreich deportiert.

1945
kehrten Dr. Nathan Wolf und seine zwei Kinder Familie nach Wangen zurück.

Am 29.12.1970
starb Dr. Nathan Wolf, „der letzte Jude des Dorfes“.

Bedeutende Vertreter der jüdischen Gemeinde Wangen waren der Schriftsteller Jacob Picard und der Arzt Dr. Nathan Wolf – siehe Storytafeln im Museumsraum „Die jüdischen Gemeinden im Hegau“.