Die Geschichte der Gailinger Juden

um 1653/1654
richteten Isaac Neuburg und Jacob Daniel (Ullmann) sowie Daniel, Alexander, Jacob und Abraham Dreyfuß an die Freifrauen von Reinach aus Randegg die Bitte, sich in dem Dorf Gailingen, das damals zur Herrschaft Randegg gehörte, auf etliche Jahre „hausheblich“ niederlassen zu dürfen.

Woher diese Juden kamen, bleibt im Dunkeln. Es könnten Kriegsflüchtlinge des 30-jährigen Krieges gewesen sein, die sich schutzsuchend vorübergehend im Rheintal bzw. in der Nordschweiz aufhielten und sich nach dem Westfälischen Frieden von 1648 erneut eine Bleibe suchen mussten.

Der Name Isaac Neuburg wirft allerdings die Frage auf, ob er identisch ist mit einem Juden gleichen Namens, der um 1649 am Eschnerberg in der reichsfreien Herrschaft Vaduz-Schellenberg belegt ist. Dort bestand von 1637 bis zu ihrer gewaltsamen Auflösung in 1651 eine Judengemeinde mit einem Rabbiner und rd. 20 Haushalten.

18. September 1657
Carl Friedrich Graf zu Hohenems gab in seiner Eigenschaft als Landvogt und Pfandinhaber der Landgrafschaft Nellenburg sein Einverständnis zur Aufnahme der o.a. Juden, worauf die Freifrauen von Reinach aus Randegg unter dem

20. September 1657
erstmals für die bereits seit gut drei Jahren in Gailingen lebenden Juden einen Schutzbrief für 18 Jahre ausstellten, der sie zwei Schutzherren, nämlich der Reinachschen Herrschaft als niederer Obrigkeit und zugleich dem Erzherzog von Österreich als hoher Obrigkeit untertan machte.

Aufgrund der Herrschaftsverhältnisse konnte sich die jüdische Siedlung im 17./18. Jahrhundert relativ ungestört entwickeln.

1722
registrierte man bereits 18 jüdische Haushalte und durch den Zuzug von Juden aus Stühlingen zu Beginn der

1740er Jahre
wuchs die jüdische Gemeinde dann auf 28 Familien an. In Stühlingen wurden die Juden ausgeschafft, nachdem Fürst Joseph Wilhelm Ernst zu Fürstenberg den Schutzbrief nicht mehr erneuern wollte.

1766
wurde in Gailingen eine erste Synagoge gebaut.

1806
kam Gailingen zum Großherzogtum Baden und mit dem Konstitutionsedikt von …

1809
mit dem 9. Konstitutionsedikt („Badisches Judenedikt“) begann im Großherzogtum Baden für die Juden die Emanzipation.

1811
begannen der Rabbiner Veit Chan und der Lehrer Moses Halle in großherzoglichem Auftrag Personendaten der in Gailingen lebenden Juden im Zusammenhang mit der Einführung von erblichen Familiennamen für Juden und der Führung von Standesbüchern für die jüdischen Gemeinden zu erfassen.

Gemäß dem erstellten „Gailinger Geburtenverzeichnis in alphabetischer Ordnung 1739 – 1881“ gab es damals in Gailingen 130 jüdische Haushalte mit folgenden Namen: Bernheim, Bloch, Baach, Biedermann, Biccart, Brandenburg, Detelbach, Erlanger, Guggenheim, Gut, Harburger,Hayman, Hanhard, Hasgal, Halle, Jung, Kaufmann, Klein, Kurz, Lang, Lauber Levinger, Levinthal, Marx, Metzger, Moser, Mahrum, Neuburger, Oettinger, Ottenheimer, Redlich, Ries, Rosenthal, Rothschild, Spiro, Schneidinger, Schatz, Sachs, Ullmann, Wolf und Weil.

1827
zu dem neu eingerichteten Bezirksrabbinat Gailingen gehörten die jüdischen Gemeinden von Randegg, Wangen, Worblingen, Tiengen und Donaueschingen.

seit etwa 1830
betrug der jüdische Bevölkerungsanteil in Gailingen zeitweilig erheblich über 50%.

9. September 1836
wurde die neue Synagoge durch Rabbiner Jakob Löwenstein eingeweiht, sie bot 520 Männern im Chorraum und bis zu 240 Frauen auf der Empore Platz.

1845-1847
errichtete die jüdische Gemeinde Gailingen ein eigenes Schulhaus mit Wohnungen für den Rabbiner und den Lehrer im Obergeschoss und einer Mikwe (Ritualbad) im Keller.

1858
erreichte die Zahl der am Ort lebenden Juden mit 996 gegenüber 982 Christen seinen Höchststand.

1862
Mit dem Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten im Großherzogtum Baden waren die Juden in allen Belangen den Christen gleichgestellt. Damit begann die Abwanderung der Juden aus den Landgemeinden in die Städte.

1870-1884
hatte die Gemeinde mit Hirsch Leopold Guggenheim für mehr als zwei Amtszeiten einen jüdischen Bürgermeister.

im August 1892
wurde in Gailingen das Israelitische Krankenhaus, in dem auch christliche Mitbürger behandelt wurden, wird feierlich eingeweiht.

im Oktober 1898
wurde das Asyl für israelitische Sieche und arme Greise („Friedrichsheim“) eröffnet. Das Haus wurde streng rituell geführt.

1925
wurde der Sitz des Bezirksrabbinats nach Konstanz verlegt. Auch in der Weimarer Zeit war Gailingen die größte jüdische Landgemeinde Süddeutschlands.

1933
lag der jüdische Bevölkerungsanteil von Gailingen mit 314 Personen noch bei 20 %.

10. November 1938
anlässlich der Reichspogromnacht wurde die Synagoge von Gailingen teilweise in Brand gesetzt, schwer demoliert und später Stein für Stein abgetragen.

22. Oktober 1940
die badischen und die saar-pfälzischen Juden wurden in das Lager Gurs (Südfrankreich) deportiert. Damit endet auf schreckliche Weise die fast 300-jährige jüdische Geschichte Gailingens.

Ab März/April 1942
wurde als Ergebnis der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 die große Mehrheit dieser Deportierten über das Transit-KZ Drancy bei Paris nach Auschwitz, Sobibor und Majdanek verbracht und dort ermordet.