Grabsteine

Der jüdische Friedhof Gailingen

Ein Gang über den jüdischen Friedhof von Gailingen zeigt die Vielfalt der Gestaltung von Grabsteinen. Die heute noch sichtbaren sind aus Stein, meist Sandstein gefertigt, doch gibt es auch Hinweise auf aus Holz gefertigte Grabmale.

Zunächst standen die Grabsteine mit ihrem Fundament direkt im Boden. Ab den 1820er Jahren ging man jedoch zunehmend dazu über, Grabmäler mit einem Sockel zu errichten und auch die Gräber selbst wurden eingefasst.

Die teilweise sehr prächtigen, sehr schön gearbeiteten Grabsteine auf dem Gailinger Friedhof und besonders die mausoleumsartige Familiengrabstätte des Ludwig Rothschild und seiner Frau Ännchen, geb. Moos widersprechen in gewissem Sinne dem im Judentum gültigen Grundsatz der Gleichheit aller im Tode. Vielmehr demonstrieren sie über den Tod hinaus den hohen gesellschaftlichen und/oder wirtschaftlichen Rang der jeweiligen Familien.

Besonders fallen in der Abteilung I im unteren Feld die denkmalähnlichen Grabsteine von Israel Bernheimer (Reihe 7, Grab Nr. 90), von Elias Haarburger (Reihe 7, Grab 95), von Fanny Rothschild (Reihe 8, Grab 100), von Salomon Leopold Weil (Reihe 8, Grab 101), von Babette Biedermann (Reihe 8, Grab 103), von Jachittle Rothschild (Reihe 8, Grab 104), von Jakob Salomon Weil (Reihe 8, Grab 105) und von Joseph Ezechiel Guggenheim (Reihe 8, Grab 106) auf. Bei einigen dieser Grabdenkmäler sind Motive des Goldenen Tors in Jerusalem verwendet worden. Dieses Tor ist auch als Scha’ar HaRachamim – „Tor des Erbarmens“ – bekannt.

Auffällig sind auch die Grabsteine in Form von abgebrochenen Säulen, wie sie z.B. auch auf dem jüdischen Friedhof Endingen-Lengnau zu finden sind. Sie symbolisieren ein zu früh vollendetes Leben.

Vielfältig ist auch die Symbolik auf jüdischen Grabsteinen. Man unterscheidet Abstammungs-, Amts-, Namens- und allgemeine Symbole.

Abstammungssymbole sind die segnenden Priesterhände, die auf die Abkunft aus dem aaronidischen Priestergeschlecht der Kohanim hinweisen. Die Kohanim waren im Tempel für die Darbringung der Opfer zuständig und sprachen den Segen über die Gläubigen. Zum Segnen erhebt der Kohen die Hände in der charakteristischen Fingerhaltung. Die Daumen und Zeigefinger beider Hände berühren sich, während Ring- und kleiner Finger jeweils abgespreizt sind.

Familiennamen von Nachkommen der Kohanim sind u.a. Kahane, Kohen, Kohn, Kahn, Kagan, Cohen und Katz. Letzterer ist ein Akronym, das für „ein gerechter Priester“ steht.

Die Darstellung einer Krone kann verschiedene Bedeutungen haben. Die Krone des guten Namens geht auf die „Sprüche der Väter“ (4.17) zurück: „Rabbi Schimon sagt: Drei Kronen gibt es: die Krone der Tora, die Krone der Priesterwürde und die Krone des Königtums; die Krone des guten Namens aber erhebt sich über sie.“

Das Symbol der Krone, verbunden mit segnenden Priesterhänden verweist auf Nachkommen des Priestergeschlechts. Die Krone allein kann aber auch für hohe Gelehrsamkeit stehen.

Auf dem Gailinger jüdischen Friedhof finden wir auf dem Grabstein von Religionslehrer Veit Cahn drei Kronen (oberes Feld, Reihe 22, Grab 14).

Ein weiteres Abstammungssymbol ist das der Kanne mit und ohne Untersatz. Die Levitenkanne deutet auf levitische Abkunft hin. Die Leviten waren u.a. für die kultische Reinheit zuständig. Sie wuschen den Priestern vor dem Opferkult die Hände, wofür das Symbol der Kanne auf den Grabsteinen steht, mit der die Gießungen vorgenommen wurden.

Die Familiennamen Levi, Levy, Halevi, Halevy, Segal und Siegel weisen auf die Abkunft von den Leviten hin. Segal ist ebenfalls ein Akronym und steht für Sega(n) L(eviyah), was Stellvertreter der Leviten bedeutet.

Auf dem jüdischen Friedhof von Gailingen finden wir das Symbol der Levitenkanne auf den Grabsteinen von Wolf Levinger (oberes Feld, Reihe 33, Grab 22) und von Jakob Eisenmann (unteres Feld, Abteilung II, Reihe 11, Grab 426).

Amtssymbole finden wir auf Grabsteinen von Juden, die innerhalb der Gemeinde ein Ehrenamt innehatten. Grabsteine eines Beschneiders (Mohel) zieren das Beschneidungsmesser, meist in Verbindung mit den bei der Beschneidung verwendeten zwei Kelchen. Auf dem Gailinger jüdischen Friedhof gibt es zwei Gräber von Beschneidern, nämlich das von Josef Manes Wolf aus Wangen (oberes Feld, Reihe 31, Grab 9) und das von Mosche Salman ben Jitzchak, genannt Eisik (oberes Feld, Reihe 8, Grab 3). Besonders der Grabstein von Mosche Salman ist ausführlich mit den Instrumentarien eines Mohel ausgestattet. Eingerahmt von Myrtenzweigen, die man früher in dem Raum, in dem die Beschneidung stattfand zum Riechen anbot, sind das Beschneidungsmesser, ein mit Verbandsstoff zum Abbinden überzogener Kranz, auch Bund genannt, und eine Streudose für das blutstillende Pulver dargestellt.

Ein weiteres Amtssymbol ist das Schofar, das Widderhorn, das am jüdischen Neujahrsfest (Rosch HaSchana) und am Versöhnungsfest (Jom Kippur) in der Synagoge geblasen wird. Ein Schofar finden wir auf dem Grabstein von Salomon Baach (oberes Feld, Reihe 32, Grab 21), der das Amt des Vorbeters innehatte.

Namenssymbole sind meist Tier- oder florale Motive. Die Tiermotive gehen auf den „Jakobssegen“ (Genesis 49, 3-27) zurück. Die Darstellung eines Löwen finden wir auf Grabsteinen von Männern mit dem Vornamen Jehuda, Juda, Leopold, Löb oder Leb, die eines springenden Hirschen auf Grabsteinen eines Naftali, den Bären auf Grabsteinen eines Dov.

Blumenmotive sind auf Grabsteinen von Frauen zu sehen. „Rösle“, „Veilche“, „Blümche“ oder „Blümel“ waren schon seit dem Mittelalter beliebte jüdische Frauennamen.

Bis ins 19. Jahrhundert sind die Grabsteine auf dem Gailinger Friedhof nur auf Hebräisch beschriftet. Im Zuge der Assimilation wurden dann die Grabinschriften zunehmend auf Deutsch verfasst. Die hebräischen Inschriften setzen sich aus mehreren Elementen zusammen: den Namen, den Daten, eingerahmt von einer Einleitungsformel und dem Schlusssegen, oft erweitert durch eine Eulogie.

Der Name eines Mannes setzt sich zusammen aus seinem jüdischen Vornamen und dem jüdischen Vornamen des Vaters; Beispiel: Awraham ben (Sohn des) Mosche (Moses).

Der Name einer Frau setzt sich zusammen aus ihrem jüdischen Vornamen und dem jüdischen Namen ihres Vaters; Beispiel: Sara bat (Tochter des) Mosche. Bei verheirateten Frauen wird der Name durch den jüdischen Namen des Ehemannes ergänzt: Sara, Tochter des Moses, Gattin des Jehuda.

Die Namen werden eingeleitet durch die Angabe des Status des oder der Verstorbenen, z.B. das Kind, der Knabe, das Mädchen, der Junggeselle/junge Mann, die junge Frau usw.

Vor den Namen der Männer steht meist auch ein Titel, der Auskunft über den gesellschaftlichen Rang oder die Funktion innerhalb der Gemeinde gibt, z.B. Rabbiner, Kantor (Chasan), Vorsteher (Parnass), Schächter (Schochet).

Nach den Namen des Vaters und des Ehemanns folgt in der Regel noch ein Segenswunsch, wenn diese schon verstorben sind.

Nach den Namen ist das Todesdatum das wichtigste Element einer hebräischen Grabinschrift. Die Angabe des Geburtsdatums ist nicht üblich, aber es werden Hinweise auf das Alter eines bzw. einer Verstorbenen gemacht.

Daten auf hebräischen Grabsteinen werden immer nach dem jüdischen Kalender festgehalten.

Sodann folgt eine Eulogie auf den Verstorbenen, die Verstorbene. Diese wird oft kunstvoll komponiert und aus Schriftzitaten zusammengesetzt. Beliebt sind Zitate aus den Psalmen und den Sprüchen.

Eingerahmt werden die Inschriften auf den Grabsteinen mit der abgekürzten (hebräischen) Eingangsformel „Hier ist begraben“ oder seltener „Hier ist geborgen“ und dem Schlusssegen „Seine/ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens“.

In Band I des Memor-Buchs „Der jüdische Friedhof in Gailingen“ von Naftali Bar-Giora Bamberger sind die wichtigsten Regeln zum Lesen von hebräischen Grabinschriften zusammengefasst.